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Corona-Impfstoff: Geht das nicht schneller?

Die derzeitige Isolationsstrategie schadet Menschen und der Wirtschaft. Und doch ist sie die einzige Möglichkeit, die Ausbreitungsgeschwindigkeit zumindest zu verlangsamen. Ein Impfstoff muss her – so schnell wie möglich.

35 Firmen und Institute arbeiten weltweit zusammen. Rund 60 Impfstoffprojekte weltweit wollen die Seuche ein und für alle mal stoppen. Westliche Firmen profitieren dabei auch von der Hilfsbereitschaft chinesischer Wissenschaftler, die die Sequenz von SARS-CoV-2 sehr schnell an ihre Kollegen weltweit übermittelten. 

Vakzin: Drei unterschiedliche Wege

Die Bostoner Firma Moderna hat am 16 März die Erprobung ihres ersten Produkts am Menschen gestartet, etliche andere sollen in den nächsten Wochen folgen. Das ist jetzt wesentlich schneller als vor einigen Jahren, als man für die Entwicklung eines neuartigen Vakzins noch einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren ansetzte. Insbesondere dann, wenn es sich ein Virus handelt, für den oder dessen Verwandte es noch keine Impfung gibt. Bei der jährlichen Grippeimpfung, sind dazu im Vergleich nur ein paar wenige Modifizierungen vorzunehmen, um ihn gegen den aktuellen Influenza-Stamm scharf zu machen. 

Dabei gehen die Strategien in verschiedene Richtungen. Die Pharmafirma Janssen, das deutsche Zentrum für Infektionsforschung und die Oxford University versuchen es etwa mit Lebendimpfstoffen. Dabei hängen die Forscher einem harmlosen Vektorvirus ein Oberflächenprotein des Coronavirus an, sodass dem Körper eine echte Infektion mit einem Lebendvirus vorgegaukelt wird. 

Ein Mix aus Virusproteinen soll ebenfalls den Körper dazu bringen eine starke Immunantwort aufzubauen. Dabei können sich die einzelnen Virusproteine nicht selber  zu einem lebensfähigen Virus zusammensetzen und so eine neue Infektion auslösen. Als Vorlage dienen dabei die Vakzine gegen Tetanus, Hepatitis B oder Influenza. Das Problem könnte aber in einer schnellen Großproduktion dieser Antigen-Mischung liegen. 

Der innovativste Ansatz ist ein genbasierter Impfstoff. Dabei werden mit einem Vektor  Teile der viralen RNA über Vektoren in Körperzellen eingeschleust. Dort sollen sie selber selber diese Antigene produzieren und damit eine starken Immunantwort starten. Eine ganze Reihe von Firmen setzt auf diese Methode, unter anderm auch das Tübinger Unternehmen CureVac oder Moderna.  

Zeitdruck und Risiken

Bei der schnellen Entwicklung gibt es aber auch Risiken. Einen genbasierten Impfstoff gibt es bisher keine andere Infektionskrankheit. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts verschlimmerten sich die Symptome einer Infektion mit dem Respiratory-Syncytial-Virus (RSV) bei Kindern, die zuvor den Impfstoff erhalten hatten. Ähnliche Erfahrungen machte man bei Versuchstieren mit einem experimentellen Impfstoff gegen das SARS-Virus, einem nahen Verwandten des jetzigen SARS-CoV-2. 

Dabei herrscht ein ungeheurer Druck auf die Entwickler. Präsident Trump will einen Impfstoff unbedingt noch von den Wahlen. Das hält Annelies Wilder-Smith, Professorin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine für ein unmögliches Unterfangen. Sie rechnet mit mindestens 18 Monaten, bis ein zuverlässiges Vakzin die Arztpraxen erreicht. Wahrscheinlich erst dann, wenn die Epidemie in den meisten Ländern zum Stillstand gekommen ist. 

Klinische Tests – Abkürzung oder Russisch Roulett?

Dabei ist die Entwicklungsarbeit nur ein Teil des Weges dorthin. Sehr viel aufwändiger sind die klinischen Tests mit Menschen. Neben den Sicherheitsaspekten, die derzeit beim Moderna-Vakzin an einer kleinen Versuchsgruppe überprüft werden, muss das Produkt zeigen, dass es auch zuverlässig ohne Langzeitfolgen zu einer wirksamen Immunität führt. Das kann aber nur im Vergleich mit einer Negativkontrolle geschehen, also Versuchspersonen, die das Vakzin nicht bekommen, aber mit dem Virus infiziert sind. 

Die Entwicklungszeit dauert nicht zuletzt deswegen so lange, weil im Normalfall viele Menschen geimpft werden und die Forscher dann abwarten, wer sich ansteckt und wie er darauf reagiert. 

Dei Idee ist nicht ganz neu: Bereits bei einigen nicht tödlichen Krankheiten wie Typhus, Influenza oder Malaria unternahmen Vakzinentwickler solchen „Human Challenge“ Versuche. 

Nir Eyal von der Rutgers University im amerikanischen New Brunswick hat mit Kollegen einen – wohl umstrittenen – Entwurf vorgelegt, wie das Ganze schneller gehen könnte. Er nennt „Human Challenge Studie“. 

Seine Idee: Die Forscher sollten hundert junge Menschen mit intaktem Immunsystem nach dem Zufallsprinzip mit dem  Vakzin oder einem Placebo impfen. Dei Probanden sollten sich davor bereit erklären, sich willentlich mit dem Coronavirus infizieren zu lassen. Schon nach wenigen Wochen könnte der Impfstoff damit seine Wirksamkeit mit wenigen Versuchspersonen und verhältnismäßig geringem Aufwand beweisen.  

Lämmer oder Helden?

Würden sich Freiwillige für so einen Versuch melden? Was hätten sie davon – vielleicht außer dem Gefühl, einen Teil zur Rettung von Hunderttausenden von Menschenleben beigetragen zu haben? Wäre das Risiko nicht zu hoch für sie? 

Eine finanzielle Entschädigung sollte dabei nicht zu üppig ausfallen. Die Gefahr, sich danach sagen lassen zu müssen, man habe eine finanzielle Notlage junger Leute ausgenutzt, ist nicht zu übersehen. Ausserdem sollte der Gruppe die beste nur mögliche Versorgung im Falle einer schwereren Krankheit zugesichert werden. Ausserdem sollten Ärzte sie eine täglich gründlich untersuchen, um über den Gesundheitszustand nach der Infektion jederzeit im Bild zu sein. Dafür müssten Freiwilligen eine komplette Isolation von Angehörigen für die Dauer der Studie in Kauf nehmen. 

Wahrscheinlich wäre ein solchen Unternehmen in totalitären Staaten kein größeres Problem. In westlichen Staaten hätten Ethiker wohl ein Magendrücken. Aber gibt es wirklich gute Alternativen dazu? 

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