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Corona. Von der Macht der Zahlen

Es gibt Menschen, die schauen seit Tagen nur mehr auf die Zahlen, die Statistiken zum Coronavirus seit Tagen ausspucken: Infizierte in Italien, Infizierte in Deutschland, eben hat Spanien als zweites Land China beim Ausmass der Epidemie überholt. Italien hat eine weit höhere Sterberate als etwa Deutschland. Wie verlässlich sind diese Zahlen, und was lässt sich von ihnen ableiten? 

Wer viel testet, weiß mehr

Ganz eng mit diesen Zahlen hängt die Art der Tests auf das Virus ab. Wieviele Tests sind möglich? Wer wird getestet?  Wie schnell sind die Ergebnisse da? 

Einige interessante Aspekte dazu lieferte das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, das monatlich einen Newsletter („Unstatistik des Monats“) herausgibt.  Würde man so dicht testen, dass man genau wüsste, wer infiziert und wer nicht infiziert ist, wäre dass Vorgehen viel leichter. Man könnte „saubere“ von Virusträgern trennen und die Zahlen würden bald nach unten gehen. Aber so einfach ist das leider nicht. 

Solange wir nicht mit ausreichender Genauigkeit wissen,, wer ansteckend ist, bleibt nur die Quarantäne für alle, um den derzeitigen Anstieg bei den Zahlen (sei liegen um die 23% täglich) herunterzudrücken.

Aber erst wenn die Reproduktionsrate unter eins sinkt, geht die Kurve langsam wieder nach unten. Erst wenn jeder Virusträger nicht mehr viele Menschen, sondern weniger als einen ansteckt, kann unser Gesundheitssystem etwas aufatmen. 

Um aber genauer zu testen, wurden in den letzten Tagen schnellere Tests eingeführt, die noch mehr Probenanalysen in der gleichen Zeit erlauben und ein Ergebnis früher als bisher liefern. Zugleich sorgen aber diese Tests dafür, dass die Fallzahlen schnell weiter ansteigen. Einfach deswegen, weil die Dunkelziffer, die Zahl der unentdeckten Infektionen sinkt. 

Also kein Grund, mit Blick auf die jetzt schon scharfen Isolationsmassnahmen und trotzdem weiter schnell zunehmenden Fallzahlen eine Katastrophe ohne Lösungsmöglichkeit zu beschreiben. Erst nach zwei Wochen lässt sich ohnehin ungefähr ermessen, ob die Einschränkung der Kontaktmöglichkeit etwas gebracht hat. 

Warum sterben so viele Infizierte in Italien?

Warum ist die Rate an Todesfällen in Italien so hoch, bei uns dagegen relativ niedrig? Zwei Wissenschaftler vom italienischen Instituto Superiore die Sanita in Rom, Graziano Onder und Giovanni Rezza, versuchen es in der amerikanischen Ärztezeitschrift JAMA zu erklären: 

Als am 20. Februar der erste „nicht importierte“ CoV-Patient mit einer Lungenentzündung eingeliefert wurde, war er schon ziemlich schwer erkrankt. Also scheinen schon zu dieser Zeit viele Infizierte unentdeckt in der Lombardei ohne Wissen und ohne Einschränkung ihrer Kontakte da gewesen zu sein. Das wäre dann zumindest ein Faktor. Denn am Anfang der Epidemie wurden fast noch alle Verdächtigen getestet, mit zunehmender Zahl und Verzweiflung dann aber nur mehr jene mit Symptomen, aus denen sich oft eine schwere Krankheit entwickelte. Je weniger Tests, desto höher wahrscheinlich die Mortalitätsrate. 

Möglicherweise spielt aber auch die Demografie eine bedeutende Rolle: In Italien gibt es einen recht hohen Anteil an Menschen über 65, fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung. Wer die Zahlen der Toten nach CoV-19 Infektion zwischen China und Italien vergleicht, findet, dass sich die Quote der Sterbefälle bis zum Alter von etwa 60 stark ähneln, dann überholen die Italiener die Chinesen. bei den Über 70-jährigen sterben in Italien zwei von fünf Infizierten, in China dagegen nur jeder achte. 

Ein zweiter Grund könnte die Komorbidität sein, wenn der Virus auf einen schon stark vorerkrankten Menschen trifft. Möglicherweise gibt es auch da Unterschiede, wie Behörden die Todesfälle registrieren. Sterben Menschen DURCH das Virus oder MIT dem Virus? Gibt es Unterschiede in der Zahl der Vorerkrankten zwischen China und Italien? Darüber wissen wir vorerst nichts. 

Schließlich waren in Italien fast 20 Prozent der Getesteten positiv. Das zeigt auch, dass wohl nur Menschen mit deutlich sichtbaren Symptomen einen Test erhielten.

Wie gefährlich ist das Virus wirklich?

Gibt es eine Möglichkeit, eine „objektive Todesrate“ zu ermitteln? 

Möglicherweise liefert das Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ dafür einen Hinweis. Dort wurden alle Passagiere getestet und entsprechend bald isoliert. Aus der Zahl der Toten und unter Berücksichtigung des höheren Alters ergibt sich eine Sterblichkeit (über alle Altersstufen hinweg) von rund 0,5 Prozent (plusminus 50%) 

Aufgrund seiner Bevölkerungszahl geht nun Island daran, das Gleiche zu versuchen. Alle rund 364 000 Einwohner des Landes sollen wissen, ob sie infiziert sind oder nicht. Nachdem Island aufgrund seiner isolierten Lage schon immer ein besonderes Zeil für Populationsgenetiker war, bringt das isländische Forschungsunternehmen deCode Genetics das Know how für das Projekt mit.  Rund 10% der Bevölkerung sind in Form eine Rachenabstrichs schon analysiert. Schon das ist Weltrekord, bezogen etwa auf 1 Mio Einwohner. 

Erste Ergebnisse zeigen, dass unter 1800 Tests von Menschen ohne Symptome  rund 19 Positive waren, also rund 1 Prozent. Zusammen mit Tests an Menschen mit typischen Symptomen lässt das drauf schließen, dass rund 50 Prozent aller Fälle nach aussen hin nicht sichtbar werden – aber auch damit leichter als „Spreader“ auftreten. 

Ähnliche Ergebnisse gibt es auch in einer kleinen Gemeinde Italiens, die komplett getestet wurde. Rund drei Prozent aller Einwohner mit einem positiven Test fühlten keine Symptome des Virus, auch bei einer Nachfrage zwei Wochen später. 

Ein Artikel in Science kommt zum Schluss, dass auf einen positiv getesteten Infizierten fünf bis zehn unentdeckte Infektionen kommen. Möglicherweise wurden damit in China nur rund 20 Prozent aller infizierten entdeckt. 

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