In den letzten Tagen habe ich oft Diskussionen mit Freunden geführt. Und sogar enge Freunde haben mich erschreckt. Erschreckt damit, dass sie überhaupt nicht der strengen Maßnahme der zu-Hause-bleiben-müssens stehen und das eher als bewusste Einschränkung der Freiheitsrechte sehen, die uns das Grundgesetz garantiert. Sie schimpfen auf das Robert-Koch-Institut, dass den Politkern einredete, sie müssten ein ganzes Volk jetzt einsperren – und sie malen ein Bild vom Ende der Demokratie. Für heute hat die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ sogar zu einer Demo in Berlin aufgerufen, natürlich unter den Auflagen, keine engen Gruppen zu bilden. Eine gute Freundin ist heute nach Berlin gefahren.
Bin auf der richtigen Spur, wenn ich die derzeitigen Regelungen gut finde? Ein bisschen Rückendeckung hat mir gestern der Deutsche Ethikrat gegeben. Er hat ein achtseitiges Memorandum herausgegeben „Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise“.
Lockdown: Eine vernünftige Alternative gibt es nicht
Die Einschränkungen sind eine große Belastungsprobe , für uns selber, für die Wirtschaft und unseren Wohlstand, aber auch für unsere Grundrechte. Ein einfaches „Laufenlassen“ hätte seine Berechtigung nur dann gehabt, wenn gleichzeitig Menschen mit den höchsten Risiken, Schwerkranke, Alte, Patienten mit schwachem Immunsystem komplett isoliert würden, für unabsehbare Zeit. Aber auch dann wären diese Strategie mit sehr vielen Toten erkauft worden. Die Schließung aller nicht lebensnotwendigen Geschäfte, bei denen sich Menschen nahe kommen, ist wohl die beste Möglichkeit, die steil nach oben ziehende Kurve abzuflachen.
Und wie ist das, wenn plötzlich die Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen ausgehen? Wer entscheidet, wer den vielleicht lebensrettenden Sauerstoff bekommt? Eine Entscheidung auf rein naturwissenschaftlicher Basis, so der Ethikrat, kommt dabei nicht in Frage.
Leben und sterben lassen?
Jedes Leben ist gleich viel Wert, heißt es in der Verfassung, ganz gleich ob alt oder Jung prominent oder nicht, Zuwanderer oder Alteingesessener. „„Auch persönliche ethische Überzeugungen, die etwa eine reine Ergebnisorientierung und mit ihr die unbedingte Maximierung der Zahl geretteter Menschenleben fordern mögen, können ein Handeln, das die skizzierten Grenzen des Verfassungsrechts überschritte, nicht rechtfertigen.“ So deutlich legt der Ethikrat das Grundgesetz aus und zeigt damit, dass er keine Lobbyorganisation der Medizin, aber auch nicht eine der Politiker ist. „Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten.“
Aber wie nun entscheiden ohne schlechtes Gewissen. Wie entscheiden im Bewusstsein, dass die Rettung des einen Lebens vielleicht auf Kosten eines anderen geht? Hierbei sie eine möglichst einheitliche Regelung gefragt. Richtlinien, an denen sich der betreffende Arzt orientieren kann und nicht alleine gelassen wird oder nur nach persönlichem Gutdünken entscheiden muss. Entsprechende Triage-Hinweise gibt es jetzt auch von der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Ähnliche Handlungsvorschläge gibt es auch in der Schweiz und Österreich.
„Herunterfahren“ muss die Ausnahme bleiben
Aber was ist mit dem „Lockdown“? Ist der Eingriff ins Grundgesetz berechtigt? Wie lange können wir so etwas durchhalten? Wie lange darf eine Notsituation, eine „Ausnahme“ dauern? Bis ein Impfstoff für alle verfügbar ist, könnten ein bis zwei Jahre vergehen.
Als Ausnahmeregelung, die dem Schutz von Menschenleben dient, hält der Ethikrat die derzeitigen Massnahmen für gerechtfertigt. jedoch nicht als Dauerzustand. Den allerdings würde auch unsere Wirtschaft nicht überleben. Und damit auch viele Arbeitnehmer, die sonst durch ihren Konsum die Wirtschaft am Laufen halten.
Mit zunehmender Dauer werden immer mehr Infizierte die Krankheit überstanden haben. Sie sind, so der Ethikrat, in einer besonderen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und sollten sich in besonderer Weise um besonders gefährdete Menschen kümmern.
Sobald wir dem Ziel nahe kommen, das die Reproduktionskurve des Virus unter eins sinkt, dass also ein Mensch nicht mehr als einen weiteren Menschen ansteckt, sollte ein erster Schritt zurück unternommen werden.